Mathilde Langendorf
Steigende Infektionszahlen und neue Kontaktverbotsmaßnahmen wecken gerade in Pflegeeinrichtungen und Pflegediensten unschöne Erinnerungen an die akute Phase der Pandemie im Frühjahr. Die 14 Einrichtungen der Trägergesellschaft St. Elisabeth in Thüringen, davon neun stationäre Einrichtungen, haben Lehren aus dem Frühjahr gezogen: Sie fühlen sich einigermaßen gut gewappnet für eine zweite Welle, erzählt Geschäftsführer Gundekar Fürsich im Interview. Aber er weiß auch: Die vergangenen Monate stecken allen Mitarbeitenden und Verantwortlichen in den Knochen. Er befürchtet, dass bei vielen bald "die Luft raus ist", wenn es wieder zu einer Infektionswelle kommen sollte.
Wie ist aktuell die Lage in den Einrichtungen?
Im Moment herrscht eine angespannte Ruhe. Man verdrängt das Thema Corona ein bisschen - obwohl es sich nicht verdrängen lässt, weil das Virus zum Teil noch sehr den Alltag bestimmt. Das Organisieren und Durchführen der Besuche ist immer noch eine Herausforderung und bindet unheimlich viele Ressourcen ein. Ich habe das Gefühl, dass es in den vergangenen Monaten unsere Hauptbeschäftigung war und immer ist. Das, und viele Gespräche mit Angehörigen.
Was ich aber merke ist: Obwohl wir gut durch die erste Phase der Pandemie gekommen sind, hat sie an alle gezehrt, bei allen ist eine tiefe Erschöpfung zu spüren.
Wie gut sind Sie auf eine neue Infektionswelle vorbereitet?
Wir selbst, wir haben das im Griff. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wissen, was zu tun ist, wir haben Vorräte an Schutzausrüstungen und Materialen aufgebaut, die Lager sind gut gefüllt, und wir haben Lehren aus der ersten Phase gezogen. Uns erschüttert so schnell nichts mehr.
Die große Unsicherheit kommt von außen: Werden die Vorgaben und Regelungen ehrlich, rechtzeitig und eindeutig kommuniziert? Haben die Gesundheitsämter genug Personal, um ihre Aufgaben zu erfüllen? Werden wir von ihnen unterstützt oder allein gelassen, wie das im Frühjahr oft der Fall war? Das ist meine größte Angst. Wir brauchen auch unbedingt mehr Koordination zwischen den verschiedenen Akteuren des Gesundheitssystems, zum Beispiel mit den Krankenhäusern, von denen wir neue Bewohnerinnen und Bewohner aufnehmen.
Welche Risiken sehen Sie?
Ich befürchte, dass den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern am Ende des Jahres die Luft ausgeht, wenn jetzt nochmal eine kritische Phase kommt. Das könnte sich womöglich in einem hohen Krankenstand ausdrücken.
Oft wurde in der ersten Phase der Pandemie über die Risiken und die Einschränkungen für die Pflegebedürftigen gesprochen, über die Isolation. Dass die Kontaktbeschränkungen auch für das Personal galten, damit kein Infektionsrisiko von den Pflegenden ausgeht, das haben die wenigsten mitgekriegt. Das war für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter extrem belastend. In einer Einrichtung musste ein Teil des Personals, ausgelöst durch die Corona-Infektion einer Bewohnerin, über 10 Tage am Stück am Arbeitsplatz übernachten. Ich möchte nicht, dass sich so etwas wiederholt.
Was würden Sie anders machen als im März - da, wo Sie dafür Spielraum haben?
Wenn die Abstands- und Kontaktregelungen nochmal verschärft werden, werde ich versuchen, die Organisation der Besuche anders zu regeln, um meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu entlasten. Also zum Beispiel Ehrenamtliche einbeziehen oder spezielles Personal dafür einstellen. Sich darum zu kümmern, ist für das eigene Personal zu zeitintensiv und anstrengend. Die Zeit fehlt ja letztlich in der sozialen Betreuung der Bewohnerinnen und Bewohner. Zumal die Bestimmungen je Landkreis anders ausfallen! Ich kann also nicht mal ein Protokoll verfassen, das für alle gilt.
Ich würde auch mit den Angehörigen mehr kommunizieren, gerade, wenn Besuche wieder unterbunden werden sollten - einen täglichen Bericht schicken vielleicht, oder sie ab und zu zu einer Videokonferenz einladen.
Die Caritas Trägergesellschaft "St. Elisabeth" gGmbH betreibt an verschiedenen Standorten in Thüringen 14 Einrichtungen, davon neun stationäre Einrichtungen sowie Tagesbetreuungsstätten und ambulante Pflegedienste. Sie beschäftigt rund 800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die etwa 800 Pflegebedürftige betreuen.
Interview von Mathilde Langendorf (Deutscher Caritasverband e.V.) vom 02.10.2020