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Sozialcourage Chancengleichheit

„Macht, wofür ihr brennt“: Samer Ismailat stärkt Flüchtlingskinder in Hamburg

Mit den St. Pauli Bats gibt Ex-Profi Samer Ismailat geflüchteten Kindern Halt und neue Chancen – durch Sport, Bildung und persönliches Engagement.

"Bleib dran. Gib niemals auf" steht in großen Lettern auf dem ehemaligen Linienbus, der nun mit Graffiti und Fledermäusen geschmückt ist. Samer Ismailat sitzt am Steuer, zieht sich die Schildmütze ins Gesicht, schickt Sprachnachrichten an Eltern und Betreuerteam. Dann lenkt er den Bus in Hamburgs Osten. Bei vier Flüchtlingsunterkünften stoppt der 42-Jährige und begrüßt Jungs und Mädchen aus Eritrea, Syrien oder Afghanistan. Zusammen mit Freunden hat der frühere Basketballprofi 2016 in seinem Kiez den Basketballverein "St. Pauli Bats" gegründet. Zum einen, um Mannschaften für Ligaspiele zu trainieren. Zum anderen aber, um damit ein soziales Projekt umzusetzen: "Bats Cares". Es gibt drei Phasen im Leben, erzählt der Mann im Fledermaus-Dress: Erst bekommst du ganz viel, dann investierst du in deine Karriere, und dann kommt der Lebensabschnitt, da willst du was zurückgeben.

Hinten im Bus singen sechs Mädchen: "Jetzt geht’s los!" Vorne sitzen kleine und große Jungs, die sich Handyvideos zeigen und von Basketballstars schwärmen. Vorsichtig manövriert Samer Ismailat den von den Hamburger Verkehrsbetrieben gestifteten Bus durch den Stadtverkehr. Es geht zum Bill­stedter Schwimmbad. Wie jeden Tag in den Ferien ist der Grundschulsportlehrer mit einer Gruppe von Flüchtlingskindern unterwegs. Die meisten kennt er, weil sie die kostenlosen Angebote oft nutzen. Heute haben die Kids Lust auf Planschen.

Vier Mädchen mit Kopftüchern stehen in einer Sporthalle unter einem Basketballkorb.Auch die Mädchen stehen auf Basketball.@ Samer Ismailat

Die meiste Zeit verbringen sie in Sporthallen, wo sie Fußball oder Badminton spielen. Am liebsten packt Samer die Basketbälle aus und zeigt seinen Schützlingen, wie man dribbelt, passt, wirft - und in den Korb trifft. Eigentlich galt er als zu klein für eine Profikarriere. Aber Samer hielt das nicht ab, jeden Tag eisern zu trainieren. Die Halle wurde sein Zuhause, der Sport gab ihm Halt. Tatsächlich schaffte er es in die Bundesliga.

Als kleiner Junge war Samer mit seiner Familie vor dem Krieg im Libanon geflohen. Jahrelang teilte er sich in Aurich mit seinen Brüdern ein Zimmer. "So jemanden wie den großen ­Samer hätte ich mir damals an meiner Seite gewünscht", sagt der Sportler. Einer, der da ist, wenn es ein Problem gibt. Einer, der ihn ermutigt und antreibt. Aus dem kleinen Samer ist genau dieses Vorbild geworden. "Wenn keiner an dich glaubt, dann komm zu mir", sagt Samer schmunzelnd.

2011 wollte er zum FC Barcelona wechseln, doch aufgrund einer schweren Verletzung platzte der Traum von seiner Profikarriere. Nun musste sich der Endzwanziger neu erfinden. Mit dem Hamburger Verein "Spieltiger" fuhr er in Brennpunktviertel, wo viele benachteiligte Kinder und Jugendliche seine zweite Berufung in ihm wachriefen: den Kampf um Chancengleichheit. Und zwar mit Hilfe seiner Leidenschaft, des Sports. Der brauche keine Sprache, im Zusammenspiel zähle weder die kulturelle noch die soziale Herkunft.

Integration in gemischten Teams

Ein Mann mit Glatze und Bart steht lächelnd vor einer Graffiti-Wand. Er trägt einen brauen Hoody mit einer Fledermaus und der Auffschrift Der Ex-Profi Samer Ismailat hat seine Berufung gefunden.@ Andrea Hösch

Damit Flüchtlingskinder nicht unter sich bleiben, legt der Trainer großen Wert auf gemischte Teams. Er bringt sie mit seinen Liga-Teams zusammen, zudem fordert er Kinder mit Migrationshintergrund auf, Hamburger Schülerinnen und Schüler aus ihren Klassen zu Wettkämpfen mitzubringen. "Für mich ist Sport das allerbeste Mittel, um Kinder und Jugendliche von der Straße, von Drogen und ­Kriminalität fernzuhalten und in die Gesellschaft zu integrieren."

Es erzürnt ihn, dass Menschen eingepfercht in verwahrlosten Lagern leben müssen. "Zum Glück haben es einige meiner Kids rausgeschafft", sagt er. Zum Beispiel der 17-jährige Reza aus Afghanistan - er verbrachte sieben Jahre dort. "Das ist mein bester Mann, er ist verlässlich und hat ­einen guten Draht zu den Kids", strahlt ­Samer und erzählt, dass Reza später ebenfalls den Busführerschein machen will. Reza ist auch heute bei der Fahrt ins Bad dabei. "Ich finde es cool, was Samer macht, später will ich hilfebedürftigen Kindern und Jugendlichen auch Starthilfe ins Leben geben", sagt er und springt im nächsten Moment raus, um Samer beim Einparken einzuweisen.

Im Bad wandert Samers Blick ständig zwischen Schwimmer- und Nichtschwimmerbecken hin und her. Plötzlich streiten sich am Beckenrand zwei seiner Mädchen um einen Schwimmring. "Ihr wechselt ab, du zwei Minuten und dann du", geht er dazwischen. Sie nicken wortlos und hüpfen wieder ins Wasser. "Woher habt ihr überhaupt den Schwimmring?", fragt er. "Vom Bademeister", sagt eine der beiden. Die Antwort gefällt ihm, weil sie sich selbst besorgen, was sie brauchen. "Ich bringe ihnen bei, eigenständig zu sein, vielen bleibt leider auch nichts anderes übrig."

Starthilfe mit Sport und Bildung

"Macht, wofür ihr brennt", schärft der Lehrer den Kids immer wieder ein. Damit sie ihre Talente und Leidenschaften entdecken, setzt der Familienvater neben Sport auf Lesestoff und Lernhilfen - im Bus liegen Bilderbücher über Stephen Hawking und Pélé aus. Außerdem unterstützt "Bats Cares" bei der Suche nach einem Praktikum oder durch Bewerbungstraining: Dafür lädt er Lennart vom Projekt "Mobil für Ausbildung" ein, der berufliche Perspektiven vorstellt, Tipps gibt und zuweilen auch einen Ausbildungsplatz vermittelt.

In sein Herzensprojekt investiert Samer fast seine gesamte Freizeit. Er spricht sich mit Eltern und Einrichtungsleitungen ab, organisiert Hallenzeiten, Turniere, Feriencamps, Ausflüge und wirbt Spendengelder ein. Die finanziellen Mittel sind leider oft knapp, auch für die Weihnachts­ferien fehlt es noch an Geld. "Einmal volltanken und ich bin 500 Euro los", sagt der Wahlhamburger. Aber Widrigkeiten betrachtet er als Herausforderung: "Irgendeine Lösung gibt es immer." Nur manchmal muss der Trainer hart durchgreifen, zum Beispiel wenn er einen Jugendlichen beim Klauen erwischt. "Dann gibt es eine Sperre, das geht gar nicht!"

Inzwischen ist der Bus wieder bei der Sporthalle in Hammerbrook angekommen. Vier Jungs schieben einen Einkaufswagen, auf dem ein Pizzaofen montiert ist, auf den Vorplatz. Hungrig vom Baden umkreisen die Kinder den Ofen, in dem knusprigheiße Pizzen duften. Als alle ihre Stücke aufgegessen haben, ist es schon dunkel. Vor den Einrichtungen öffnet ­Samer Ismailat die Türen und ruft: "Denkt dran, morgen bin ich um zwölf Uhr mit dem Bus wieder bei euch!"

Mehr Infos unter: stpaulibats.de

 

Autor/in:

  • Andrea Hösch
Sozialcourage Ausgabe Sozialcourage, 04/2025: caritas.de
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